Science

Update

Was sagt Sonia Seneviratne, Klimawissenschafterin an der ETH Zürich, zur aktuellen Entwicklung in Sachen Klimaschutz, Netto-Null und Technowashing?

«CDR-Technologien zur Abscheidung von Kohlendioxid aus der Luft, zum Beispiel diejenigen der ETH Spin-off Firma Climeworks, müssen weiterentwickelt werden. Aber es besteht die Gefahr von Technowashing, also der Ansicht, dass diese Methoden die ganzen Emissionen aufnehmen können», warnt Sonia Seneviratne. Basierend auf IPCC-Szenarien schätzt sie, dass man damit künftig etwa zehn Prozent der jetzigen Emissionen mit CDR einfangen kann. Zu 90 Prozent gehe es also darum, keine CO₂-Emissionen mehr zu haben – und dies müsse man allen klarmachen. «Jetzt geht es um gesellschaftliche, also menschliche Entscheidungen. Wir haben einen Notstand. Wir haben nur noch bis 2030 Zeit, um die Emissionen zu halbieren.» Interview

«Ich behaupte nicht, dass Bäume gar nichts bringen, aber es ist auch nicht so, dass Bäume uns retten werden.» Die wichtigste Botschaft sei, dass man die bestehenden Wälder nicht abholzen soll. Interview

«Zuwarten im Klimaschutz ist definitiv ein No-go. Wer nach wie vor die Idee hat, man könne weiterhin die CO₂-Emissionen so langsam wie bisher reduzieren und dann auf technologische Hilfe hoffen, ist auf dem falschen Weg.» Interview

Die IPCC-Leitautorin hat momentan nicht vor, am nächsten, in sechs Jahren fälligen Statusbericht wieder teilzunehmen. Nicht der Arbeit wegen, wie sie sagt, sondern weil jetzt die Gesellschaft und nicht mehr die Wissenschaft gefordert ist: «Wir wissen mehr als genug, um jetzt zu handeln. Jetzt geht es darum, ob die Gesellschaft diese Informationen übernimmt und etwas daraus macht.» Interview

Als Bürgerin versucht Seneviratne, ihre Auswirkungen zu reduzieren, indem sie ihren Fleischkonsum einschränkt, auf ein Auto verzichtet und in Europa lieber mit dem Zug als mit dem Flugzeug reist. Als Forscherin trägt sie den aktuellen Stand der Wissenschaft vor Gericht vor. So auch im Prozess gegen Klimaaktivist*innen, die eine Filiale der Grossbank Credit Suisse in Lausanne besetzt hatten. «Richter*innen denken längerfristig als die Politik. Ich glaube, dass die Gerichte eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Klimawandel spielen können, wie Urteile in Deutschland und Frankreich zeigen.» Interview

«Wir müssen davon wegkommen, die Vergangenheit als Massstab zu nehmen. Bereits heute müssen wir uns auf Ereignisse einstellen, die der Mensch noch nie erlebt hat. Zum Beispiel die enorm hohen Temperaturen von fast 50 Grad in Nordwestkanada. Tatsache ist: Viele ältere Menschen leiden sehr unter der Hitze. Eine Studie hat gezeigt, dass ein Drittel der Todesfälle während Hitzeperioden von 1991 bis 2018 auf den vom Menschen verursachten Klimawandel zurückzuführen ist, auch in der Schweiz. Die Landwirtschaft hat oft nach Hitzeperioden massive Ernteeinbussen, und die Wälder sind lokal stark unter Stress.» Interview

«Es geht nicht um Verzicht, sondern um ein neues Lebenskonzept: Es muss cool sein, fossilfrei zu leben. Heute wird oft das Gegenteil vermittelt, etwa in der Werbung. SUV fahren durch wilde Landschaften, Flieger bringen Touristen zu Spottpreisen in entlegenste Naturpärke. Damit schafft die Werbung einen falschen Zusammenhang zwischen der heutigen Konsumkultur und deren Einfluss auf den Klimawandel. Das ist fatal. Tun wir jetzt nichts, nehmen wir in Kauf, dass sich die Erde um 4 Grad erwärmt und es noch viel mehr Klimaextreme als heute gibt. Und dann kommt es tatsächlich zu einem Verzicht: auf viel Lebensqualität. Das hat nichts mit Alarmismus zu tun.» Interview

 

Es muss cool sein, fossilfrei zu leben.

— Sonia Seneviratne, ETH Zürich